{"id":2215,"date":"2020-03-19T22:33:48","date_gmt":"2020-03-19T22:33:48","guid":{"rendered":"http:\/\/communitysupported.org\/?p=634"},"modified":"2024-12-14T10:38:42","modified_gmt":"2024-12-14T10:38:42","slug":"corona-krise-und-gemeinschaftsgetragene-unternehmen","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/csx-netzwerk.de\/en\/corona-krise-und-gemeinschaftsgetragene-unternehmen\/","title":{"rendered":"Was w\u00e4re wenn: Wir in der Corona-Krise mehr gemeinschaftsgetragene Unternehmen h\u00e4tten? Oder: Braucht unsere Wirtschaft mehr Community?"},"content":{"rendered":"

Autorin: Mona Knorr<\/p>\n\n\n\n

Ich bin selbstst\u00e4ndig. In meiner Bubble aus Selbstst\u00e4ndigen geht momentan die Existenzangst um. Abgesagte Auftr\u00e4ge, Workshops, Veranstaltungen, das f\u00fchrt bei vielen zu Einkommenseinbr\u00fcchen. Gleichzeitig m\u00fcssen Miete, Krankenversicherung und die Fixkosten weiter getragen werden, auch wenn man alle anderen Bed\u00fcrfnisse auf ein Minimum reduzieren und seine Ausgaben f\u00fcr eine Weile damit deutlich drosseln kann.<\/em><\/p>\n\n\n\n

Eine Frage, die nicht nur ich mir stelle: W\u00e4re das anders, wenn diese Selbstst\u00e4ndigen (und auch die Gastronomiebetriebe, die jetzt alle schlie\u00dfen m\u00fcssen) ausnahmslos communitybasiert\/ gemeinschaftsgetragen wirtschaften w\u00fcrden?<\/strong><\/em> <\/p>\n\n\n\n

In diesem Artikel versuche ich mich an einem kleinen Gedankenexperiment dazu.<\/em><\/p>\n\n\n\n

Leistungserstellung und Bezahlung sind entkoppelt <\/strong><\/h3>\n\n\n\n

Es entstehen immer mehr Unternehmen in anderen Versorgungsfeldern als der Solidarischen Landwirtschaft, die gemeinschaftsgetragen wirtschaften. Durch die Zusage ihrer Community, die Kosten f\u00fcr ein Jahr zu tragen, w\u00e4ren sie in Situationen, wie wir sie jetzt erleben, abgesichert: Es g\u00e4be n\u00e4mlich keine Einkommenseinbr\u00fcche, weil Beitr\u00e4ge und Leistung voneinander entkoppelt sind. Im Falle vom Mabon-Kollektiv<\/em> (das ich Dir hier<\/a> vorgestellt habe) w\u00fcrde das z.B. bedeuten, dass die Mitglieder weiterhin ihren monatlichen Beitrag an Lisa entrichten. Die Gemeinschaft \u00fcberlegt gemeinsam, wie Workshops und Treffen z.B. online stattfinden oder ob sie einfach ausfallen k\u00f6nnen. Lisa h\u00e4tte in dieser Zeit also weiterhin ein Einkommen und k\u00f6nnte sich darauf konzentrieren, neue Formate f\u00fcr die Mitglieder zu entwickeln und\/oder sich in ihrer lokalen Community zu engagieren.<\/p>\n\n\n\n

Grundversorgung vs nice-to-have<\/strong><\/h3>\n\n\n\n

An dem Beispiel vom Mabon-Kollektiv<\/em> wird klar: Auf Communitytreffen und Workshops kann jede*r von uns im Ernstfall verzichten. Ein Workshop kann also locker verschoben werden, online stattfinden oder ggf. ausfallen, ohne dass davon mein Alltag stark beeintr\u00e4chtigt wird. Wenn die Solawi aber pl\u00f6tzlich gar kein Gem\u00fcse mehr liefern kann, fehlt mir schlicht ein Teil meiner Grundversorgung. Und ich ben\u00f6tige das Geld, das ich monatlich an den Hof zahle, dann pl\u00f6tzlich dringend f\u00fcr einen Ersatzeinkauf im Supermarkt. Einen kompletten Ernteausfall hat es (nach meinen Recherchen) im Solawi-Kontext aber noch nie gegeben. Deshalb ist es nat\u00fcrlich auch sehr spekulativ, dar\u00fcber zu schreiben, was eine solche Situation mit der Solidarit\u00e4t der Mitglieder \u2013 gegen\u00fcber dem Hof, aber auch untereinander \u2013 machen w\u00fcrde. Vielleicht w\u00fcrden die Mitglieder gemeinsam versuchen, Lebensmittel auf anderen Wegen zu beschaffen und zu verteilen, z.B. im Rahmen einer Food-Coop.<\/p>\n\n\n\n

Solidarit\u00e4t und Community<\/strong><\/h3>\n\n\n\n

Der Vorteil gemeinschaftsgetragener Strukturen ist die Gemeinschaft\/Community, die darin ge\u00fcbt ist, solidarisch zu sein: Gemeinsam sichert sie auf ein Jahr die Existenz der Anbieter*innen ab. Untereinander wird in einer Bietrunde vereinbart, wer sich mit welchem Beitrag an dem Jahresbudget beteiligen kann. Die Mitglieder sind in gemeinschaftsgetragenen Strukturen also gezwungen, sich \u00fcber ihre sozialen und finanziellen Bed\u00fcrfnisse selbst klar zu werden und diese untereinander auszutauschen. Sie lernen, Kompromisse einzugehen, das eigene Ego vielleicht auch einmal zur\u00fcckzustellen, damit die Community funktionieren kann. Ich pers\u00f6nlich bin sehr optimistisch, dass das in einer Krisensituation auch funktionieren w\u00fcrde \u2013 so wie jetzt Freundeskreise und Nachbarschaften untereinander Ressourcen und Bed\u00fcrfnisse austauschen. <\/p>\n\n\n\n

Wenn wir alle gemeinschaftsgetragen w\u00e4ren<\/strong><\/h3>\n\n\n\n

Mal angenommen, fast jede*r von uns h\u00e4tte am Anfang des Jahres ein ausfinanziertes Jahresbudget. Ein Jahresbudget, in das ja dann auch die Beitr\u00e4ge einkalkuliert sind, \u00fcber die ich mich durch andere gemeinschaftsgetragene Strukturen versorge (z.B. mit Lebensmitteln, Grafik-Dienstleistungen, Handwerker*innenleistungen, Gesundheitsleistungen). Dann k\u00f6nnte ich in der jetzigen Krise diese ganzen Beitr\u00e4ge problemlos weiter zahlen, weil ich selbst keine Einkommenseinbu\u00dfen habe, und ich k\u00f6nnte \u00fcberlegen, wieviel Versorgung ich momentan wirklich brauche, welche ich vielleicht sp\u00e4ter in Anspruch nehme, und welche ich aus Solidarit\u00e4t vielleicht nicht abrufe oder anderen, die sie dringender brauchen, zur Verf\u00fcgung stelle. Und ich k\u00f6nnte mich selbst darauf konzentrieren, die dringlichsten Versorgungsstrukturen zu unterst\u00fctzen, so dass sie m\u00f6glichst lange aufrecht erhalten werden. In den meisten F\u00e4llen n\u00e4mlich sind diese Versorgungsstrukturen nahr\u00e4umlich, ich kenne also meine Erzeuger*innen, Dienstleister*innen und Produzent*innen pers\u00f6nlich und kann sie direkt unterst\u00fctzen. Aber zugegeben, dieses Gedankenexperiment ist sehr theoretisch \u2013 aber irgendwie auch cool, je l\u00e4nger ich dar\u00fcber nachdenke. \ud83d\ude42<\/p>\n\n\n\n

Was ich hoffe: Mehr CSX nach der Corona-Krise<\/strong><\/h3>\n\n\n\n

Was ich mir derzeit w\u00fcnsche: Dass die Corona-Krise dazu f\u00fchrt, dass mehr gemeinschaftsgetragene Strukturen (CSX) entstehen. Dass Menschen erleben, wie wichtig Communities und Solidarit\u00e4t sind und dass Risiko und Verantwortung geteilt werden kann. Und dass sie deshalb \u00fcberlegen, wie sie z.B. Gastro-Betriebe gemeinschaftsgetragen aufstellen oder Dienstleistungen gemeinschaftsgetragen organisieren k\u00f6nnen. Nicht ehrenamtlich, sondern mit Jobs, die auch in der Krise ohne Existenzangst funktionieren.<\/p>\n\n\n\n

Gemeinschaftsgetragene Organisationen f\u00fcr R\u00e4ume der Begegnung und Kultur<\/strong><\/h3>\n\n\n\n

Die Pandemie zeigt n\u00e4mlich, dass ausgerechnet die Orte einer Stadt, die Raum bieten f\u00fcr Begegnung, Austausch und Impulse (Caf\u00e9s, Bistros, Kulturbetriebe\u2026) das Risiko und die Verantwortung in einer Krise kaum alleine tragen k\u00f6nnen. Jeder von uns hat ein Lieblingscaf\u00e9 oder -theater, in das er\/sie gerne geht – die Verantwortung und das Risiko f\u00fcr den Betrieb liegt aber bei den Betreiber*innen alleine. Gemeinschaftsbasiert aufgestellt k\u00e4me es zu einem Risikoausgleich zwischen Anbieter*innen und Konsument*innen. Die Organisationen w\u00e4ren in der jetzigen Situation abgesichert, und die Beitr\u00e4ge w\u00fcrden nicht nur f\u00fcr Kaffee und Kuchen gezahlt, sondern stellten auch eine Wertsch\u00e4tzung f\u00fcr das Angebot an sich dar. Dass es funktionieren kann, zeigen unz\u00e4hlige Beispiele von Caf\u00e9s, deren Communities jetzt Gutscheine kaufen oder virtuell einen Kaffee trinken und das Geld daf\u00fcr spenden, um die Betriebe durch die Krise zu tragen.<\/p>\n\n\n\n

Vielen Dank an Sophie L\u00f6bbering, Timo Wans, Michaela Hausdorf, Simon Scholl, Jan-Philipp Bleeke, Matti Pannenb\u00e4cker und Christoph Spahn f\u00fcr das hilfreiche Feedback zum Text.<\/em> Die Inspiration zu diesem Artikel verdanke ich Rico Grimms Text “Zehn unsichere, aber eventuell wertvolle Prognosen \u00fcber die Folgen der Corona-Epidemie” vom 17.3.2020 (Krautreporter).<\/em> Ebenfalls lesenswert: “Eight Emerging Lessons: From Coronavirus to Climate Action”<\/a> von Otto Scharmer.<\/em><\/p>\n\n\n\n[Der Artikel erschien zuerst auf dem mittlerweile aufgel\u00f6sten Blog communitysupported.org und wurde im Juli 2021 in leicht gek\u00fcrzter Form auf diesen Blog \u00fcbertragen.]","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

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