Autorin: Mona Knorr
Diesen Artikel habe ich am 1. März 2020 erstmals veröffentlicht. In der Zwischenzeit haben wir die Seite gemeinschaftsgetragen.de auf die Beine gestellt – die erklärt das gemeinschaftsgetragene Wirtschaften anschaulich und wird laufend aktualisiert und erweitert. Dieser Blogbeitrag gibt also nicht mehr den aktuellsten Stand der Diskussion wieder, und ich empfehle dir, auf jeden Fall noch die neue Website zu besuchen.
Das erfolgreiche CSA-Prinzip in anderen Versorgungsfeldern anwenden
Sowohl beim „communitygetragen Wirtschaften“ (oder “gemeinschaftsgetragenen Wirtschaften”) als auch bei „CSX“ geht es im Grunde darum, nach den Prinzipien zu wirtschaften, die in der Solidarischen Landwirtschaft schon erfolgreich praktiziert werden. Solidarische Landwirtschaft heißt auf Englisch „Community Supported Agriculture“ (CSA) – und jetzt ahnst Du sicher schon, wo beide Begriffe ihren Ursprung haben.
CSAs funktionieren nach dem Prinzip „Kosten und Ernte teilen“. Eine Gruppe Verbraucher*innen finanziert auf ein Jahr die Kosten eines landwirtschaftlichen Betriebes und bekommt dafür die Ernte. Die landwirtschaftlichen Produkte werden dadurch nicht mehr am Markt gehandelt und haben auch keinen Preis mehr. Wenn du das Prinzip gut kennst, kannst du direkt weiterlesen – wenn nicht, empfehle ich dir, kurz rüberzuspringen auf den Artikel „Was ist eigentlich Solidarische Landwirtschaft?“ und ihn zuerst zu lesen.
Dieses Prinzip ist auch auf auf andere Bereiche übertragbar – und da sind es vor allem zwei Modelle, mit denen ich mich hauptsächlich beschäftige: Dem CSX-Modell von Marius Rommel und dem „gemeinschaftsbasierten Wirtschaften nach dem Myzelium-Prinzip“. Ich stelle dir beide hier in Kurzform vor und ergänze anschließend noch meine eigenen Ideen, die – Überraschung – aus dem Thema Crowdfunding gespeist sind.
CSX oder communitybasiertes Wirtschaften finde ich übrigens deshalb so spannend, weil es momentan das meiner Meinung nach einzige Modell ist, das eine Antwort auf die fehlgeleitete Wachstumsdynamik und globale Entgrenzung unseres aktuellen Wirtschaftssystems ist. Und die führt bekanntlich zu einer massiven Ausbeutung von Ressourcen jeglicher Art, zu Ungleichheiten und Entfremdungserfahrungen.
Das CSX-Modell von Marius Rommel
Marius Rommel hat 2017 in seiner Masterarbeit „Zukunftsfähige Wirtschaftsgemeinschaften (CSX) –Übertragung der CSA-Logik auf andere Versorgungsfelder“ den Begriff CSX erstmals geprägt. CS bedeutet „Community Supported“, das X steht für „andere Versorgungsfelder“.
Die Masterarbeit ist hier online verfügbar und sehr lesenswert – meine Zusammenfassung ist daher sehr verkürzt und gibt vor allen Dingen nicht das Forschungsdesign wieder.
Marius ist in seiner Arbeit davon ausgegangen, dass CSAs durch bestimmte Strukturmerkmale gekennzeichnet sind, die in ihrer Kombination einzigartig sind – und hat deshalb versucht, durch Analyse von CSA-Höfen diese Strukturmerkmale herauszufiltern. Motiviert hat ihn dabei die Hypothese, dass CSAs eine soziale Innovation sind, die uns helfen können, das, was momentan in unserer Wirtschaft schief läuft, zu überwinden. Außerdem ist er davon ausgegangen, dass sich diese Strukturmerkmale übertragen lassen auf andere Versorgungsfelder (z.B. Handwerk, verarbeitendes Gewerbe, Dienstleistungen) – und dass andere Unternehmensformen von den Erfolgsfaktoren der CSA-Höfe lernen können.
Merkmale für CSX
Das Ergebnis der Arbeit ist ein erstes CSX-Modell, das momentan Grundlage für die Etablierung weiterer CSX-Strukturen ist, das aber auch stetig weiterentwickelt wird. Marius hat es in Kreisform dargestellt und dabei obligatorische und optionale Strukturmerkmale getrennt. Die Zick-Zack-Linien zeigen an, dass diese Merkmale in verschiedenen Organisationen unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Bei den obligatorischen Merkmalen muss es jedoch einen Mindestgrad an Ausprägung geben – das ist der Halbkreis im unteren Teil. Die gestrichelten Linien zwischen den Merkmalen verweisen auf die Beziehungen der Merkmale untereinander – und dass sie sich oftmals gegenseitig bedingen.
Obligatorische Merkmale:
- Begrenztes Unternehmenswachstum
- Umweltfreundliche Leistungserstellung
- Nahräumliches Wirtschaften
- Vergemeinschaftete Betriebskosten/Beiträge statt Preise
- Kostendeckungsprinzip
- Kostentransparenz
Optionale Merkmale:
- Ko-Produktion
- Partizipative Entscheidungsfindung
- Arbeitskraftintensivierung/Ressourcenschonende Technisierung
- Vergemeinschaftetes Eigentum
- Solidarische Finanzierung (z.B. durch Bietrunden)
Punkte, die in dem Modell noch nicht aufgeführt sind, die man aber noch ergänzen könnte, sind: Internalisierung aller Kosten, faire Bezahlung mit Blick auf die gesamte Wertschöpfungskette, bedürfnisorientierte Betriebskostendeckung, kulturelle Pluralität, Beziehungsaufbau und -erhalt, Verantwortung teilen/Mitverantwortung übernehmen (da sind wir noch nicht am Ende der Überlegungen).
Das Modell von Marius wurde übrigens 2019 von Sophie Löbbering in ihrer Masterarbeit auf das Bäckerhandwerk angewendet. Im Zuge der Erstellung von gemeinschaftsgetragen.de wurde das Modell weiterentwickelt.
Gemeinschaftsbasiertes Wirtschaften nach dem Myzelium-Prinzip
Michaela Hausdorf und Timo Wans von Myzelium haben einen, in meinen Auge, stärker praxisorientierten Ansatz entwickelt, denn die beiden haben in den letzten anderthalb Jahren schon einige Initiativen mit ihrem Ansatz zur Gründung verholfen. Michaela arbeitet parallel dazu noch an einer Doktorarbeit über die Rolle von Communities im Gründungsprozess, Timo beschäftigt sich als Wirtschaftssoziologe schon eine ganze Zeit mit solidarökonomischen Modellen.
Das Myzelium-Prinzip orientiert sich am Modell der Solidarischen Landwirtschaft Trier. Auch in diesem Ansatz übernimmt eine Community die Kosten eines Anbieters/einer Anbieterin für ein Jahr, sprich: Eine Community finanziert den benötigten Umsatz für ein Jahr aus. Ein Beispiel dafür habe ich dir im Artikel über das Mabon-Kollektiv vorgestellt – und es gibt auch ein kurzes Video von Michaela, das den Ansatz erkärt.
Kooperation & Solidarität
Für Michaela und Timo sind zwei Werte zentral: Kooperationsfähigkeit aller Beteiligten und Solidarität unter allen Beteiligten. Sie gehen davon aus, dass sowohl Anbieter*innen als auch Kund*innen soziale und finanzielle Bedürfnisse haben, die erfüllt werden müssen. Durch die „älteste App der Menschenheit“, das persönliche Gespräch, werden diese Bedürfnisse ausgetauscht. Sie sind die Grundlage für den a) benötigten Umsatz und b) das Angebot.
Dieser benötigte Umsatz wird in einer Bietrunde solidarisch unter allen Mitgliedern der Community aufgeteilt, so dass Menschen mit unterschiedlichen Budgets an einem Projekt teilhaben können. Gleichzeitig sind die Menschen mit dem Anbieter/der Anbieterin solidarisch und teilen das unternehmerische Risiko mit ihm/ihr. Das Resultat sind Geschäftsmodelle, die sich an den Bedürfnissen aller Mitglieder orientieren, ohne Ausbeutung von Ressourcen und ohne Profitsteigerung – und ohne, dass die Anbieter*innen ihr Angebot am Markt platzieren und sich den Marktmechanismen unterwerfen müssen. Die Gründungen nach dem Myzelium-Prinzip sind trotzdem unternehmerisch, d.h. die Anbieter*innen benötigen unternehmerisches Denken, eine hohe Kommunikationsfähigkeit und eben Kooperationsbereitschaft. Das Ziel ist ganz klar nicht, Ehrenamtsstrukturen aufzubauen, sondern fair bezahlte Jobs zu schaffen.
Die Initiative geht von den Gründer*innen aus
Was mir an dem Ansatz besonders gut gefällt, ist, dass die Initiative zur Gründung von den Anbieter*innen ausgeht und diese auch im gemeinschaftsbasierten Unternehmen ein hohes Maß an Gestaltungsspielraum behalten. Sie schaffen und gestalten das Angebot und sind verantwortlich für die Community. Der Begriff „Community Supported Entrepreneurship“, den auch Marius in seiner Masterarbeit verwendet hat, passt hier m.E. ganz gut.
Und gibt es auch etwas zwischen CSX und klassischen, marktorientierten Unternehmen?
Das ist eigentlich meine Lieblingsfrage, weil sie mich dazu motiviert hat, über dieses Thema zu bloggen. Denn als Crowdfunding-Spezialistin würde ich die steile These wagen, dass es einige Projekte schaffen, durch Crowdfunding ein Unternehmen aufzubauen, das sehr stark von einer Community getragen wird. Dass die unterschiedlichen Beiträge, die man zu einem Projekt beisteuern kann, einer Bietrunde ähnlich sind, dass Kostentransparenz herrscht, dass Unterstützer*innen zu Prosument*innen werden und das unternehmerische Risiko mittragen, indem sie z.B. helfen, ein Projekt vorzufinanzieren. Von daher vertrete ich gerne die Meinung, dass jedes Projekt, dass sich über Crowdfunding Gedanken macht, also eine Community mit in das Projekt holen will, schon einen ersten Schritt in Richtung CSX geht. Und ich würde mir wünschen, dass noch mehr darüber nachdenken, diesem einen Schritt weitere folgen zu lassen.
Danke an Sophie für die Anmerkungen zum Text.
[Der Artikel erschien zuerst auf dem mittlerweile aufgelösten Blog communitysupported.org und wurde im Juli 2021 leicht gekürzt, aber nicht aktualisiert auf diesen Blog übertragen.]